Das gros­se Deba­kel der Foren­haf­tung in der Schweiz

Fuck you: Eine mögliche Beschimpfung in einem Forum1Lan­ge Zeit konn­ten Herr und Frau Schwei­zer leicht über­heb­lich nach Deutsch­land schau­en, wo der Gesetz­ge­ber und Gerich­te sich mit Fra­gen wie Link­haf­tung, Foren­haf­tung oder Netz­sper­ren aus­ein­an­der set­zen muss­ten. Hier im beschau­li­chen Schweiz­er­land schien es lan­ge, als ob es dafür kei­nen Regu­lie­rungs­be­darf gäbe. Wäh­rend der poli­ti­sche Dis­kurs in Deutsch­land zu sehr libe­ra­len und bür­ger­freund­li­chen Lösun­gen führ­te, schli­chen sich hier fern­ab von der öffent­li­chen Wahr­neh­mung Rechts­pra­xen ein, wel­che Grund­wer­te unse­rer Demo­kra­tie wie Mei­nungs­frei­heit und Daten­schutz mar­gi­na­li­sie­ren. In Deutsch­land führ­te die Debat­te um Netz­sper­ren zu einem par­tei­über­grei­fen­den Kon­sens gegen eine womög­lich aus­ufern­de Zen­sur­in­fra­struk­tur. Die deut­schen Behör­den hal­ten sich nun an die bewähr­te Pra­xis, dass die Löschung von rechts­wid­ri­gen Inhal­ten deren Sper­rung vor­zu­zie­hen ist. In der Schweiz wur­de klamm­heim­lich eine intrans­pa­ren­te Sperr-Infra­struk­tur errich­tet. Eben­so über­ra­schend hat das Bun­des­ge­richt jüngst, die Betrei­ber von Inter­net­fo­ren einer restrik­ti­ven Haf­tung unterworfen.

Ein Forum ist eine Soft­ware-Platt­form für struk­tu­rier­te Dis­kus­sio­nen im Inter­net. Es ist nicht abwe­gig, in einem Forum ein urde­mo­kra­ti­sches Werk­zeug zu sehen. Es ist ein Ort, wo Mei­nun­gen ent­ste­hen, aber auch kol­li­die­ren. Wenn Men­schen dis­ku­tie­ren, sind Exzes­se immer im Bereich des Mög­li­chen. Bei die­sen Exzes­sen han­delt es sich haupt­säch­lich um Straf­ta­ten gegen die Ehre eines Men­schen. Das Rechts­gut der Ehre wird im Schwei­ze­ri­schen Straf­ge­setz­buch durch die Straf­tat­be­stän­de der üblen Nach­re­de nach Art. 173 StGB, der Ver­leum­dung nach Art. 174 StGB und der Beschimp­fung nach Art. 177 StGB geschützt. Neben Ehr­ver­let­zungs­de­lik­ten ereig­nen sich in Inter­net­fo­ren auch Straf­ta­ten wie Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung und Ver­brei­tung ille­ga­ler Por­no­gra­fie. Eine Eigen­heit eines Inter­net­fo­rum ist der Umstand, dass Forums­teil­neh­mer nicht mit ihrer wirk­li­chen Iden­ti­tät son­dern mit einem Pseud­onym in Erschei­nung tre­ten. Dies erschwert es den Behör­den, eine Straf­tat einer ree­len Per­son zuzu­ord­nen. Eine ein­deu­ti­ge Iden­ti­fi­zie­rung ist nur über die soge­nann­te IP-Adres­se2 des Forums­teil­neh­mers mög­lich. Bei einer IP-Adres­se han­delt es sich um eine ein­ma­li­ge Zah­len­fol­ge, mit der sich ein Rech­ner oder ein Netz­werk von Rech­nern mit ande­ren Com­pu­tern im Inter­net ver­bin­det. Eine IP-Adres­se ermög­licht also kei­nes­wegs die Zuord­nung von Forums­bei­trä­gen zu einer ein­zi­gen Per­son son­dern höchs­tens eine Ein­gren­zung des Täter­krei­ses. Die­ser Umstand wird eben­so ger­ne ver­ges­sen wie jener, dass sich IP-Adres­sen, bspw. über das TOR-Netz­werk3, mas­kie­ren las­sen. Der ein­zi­ge Stroh­halm der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den ist es also, an die IP-Adres­se des mut­mass­li­chen Täters zu gelan­gen. Dies gelingt ent­we­der über die Ver­bin­dungs­da­ten des Inter­net­pro­vi­ders oder über die durch die Forums-Soft­ware gespei­cher­ten IP-Adres­sen. Im zwei­ten Fall müs­sen sich die Behör­den an den Foren­be­trei­ber wen­den. Pro­ble­ma­tisch wird es jedoch, wenn die Forums-Soft­ware kei­ne IP-Adres­sen spei­chert oder sich der Foren­be­trei­ber gegen eine Spei­che­rung ent­schie­den hat. In die­sem Zusam­men­hang tre­ten zwei Rechts­fra­gen auf. Einer­seits muss geklärt wer­den, ob und auf wel­cher gesetz­li­chen Grund­la­ge der Foren­be­trei­ber zu einer Spei­che­rung der IP-Adres­sen ver­pflich­tet ist. And­rer­seits stellt sich die Fra­ge, ob der Foren­be­trei­ber durch die unter­las­se­ne IP-Adres­sen-Spei­che­rung die Ver­fol­gung von Straf­ta­ten im Sin­ne einer Begüns­ti­gung nach Art. 305 StGB vereitelt.

Bevor die gel­ten­de Rechts­la­ge in der Schweiz beleuch­tet wird, lohnt es sich, einen Blick über den Tel­ler­rand zu wer­fen. Die Pro­vi­der- und Foren­be­trei­ber­haf­tung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka fusst auf einer ein­zi­gen Rege­lung4, wel­che an Klar­heit nicht zu über­tref­fen ist: “Kein Pro­vi­der oder Nut­zer eines inter­ak­ti­ven Com­pu­ter­diens­tes kann für Inhal­te eines ande­ren Anbie­ters ver­ant­wort­lich gemacht wer­den.” Die­se puris­ti­sche Sicht­wei­se schliesst eine Haf­tung für frem­de Inhal­te gene­rell aus. Die USA ken­nen also weder Pro­vi­der- noch Foren­be­trei­ber­haf­tung. In der Pra­xis müs­sen Betrei­ber in den USA ledig­lich innert nütz­li­cher Frist auf Beschwer­den und Löschungs­be­geh­ren reagie­ren. Ähn­lich stellt sich die Situa­ti­on in Deutsch­land4 dar, wo Betrei­ber eines Forums inner­halb von 24 Stun­den auf Beschwer­den reagie­ren müs­sen, bevor gegen sie ein Unter­las­sungs­an­spruch besteht. In einem von die­ser Recht­spre­chung abwei­chen­den Urteil beja­hen die höchs­ten Ham­bur­ger Gerich­te einen gene­rel­len Unter­las­sungs­an­spruch gegen Foren­be­trei­ber. Sowohl in Deutsch­land als auch in den USA zeich­net sich jedoch die Ten­denz ab, das Forum und des­sen Betrei­ber aus der recht­li­chen Schuss­li­nie zu neh­men. Dies erscheint sinn­voll, da bei zuneh­men­dem recht­li­chen Risi­ko der Anreiz ein kos­ten­lo­ses Forum zu betrei­ben ent­fällt. Sel­ten sind gros­se Foren, wo der finan­zi­el­le Gewinn, z.B. durch Wer­bung ein erhöh­tes recht­li­ches Risi­ko recht­fer­ti­gen wür­de. Die meis­ten Foren wer­den von Idea­lis­ten betrie­ben, wel­che kei­ne finan­zi­el­len Inter­es­sen ver­fol­gen. Es ist damit zu rech­nen, dass eine restrik­ti­ve Foren­haf­tung dazu führt, dass sämt­li­che klei­nen Foren aus­ster­ben. Dies kann nicht im Sin­ne der Mei­nungs­frei­heit und des öffent­li­chen Dia­logs sein. Demo­kra­tien soll­ten an einer blü­hen­den Foren-Flo­ra inter­es­siert sein. Wenn sich die Rechts­la­ge in den USA mit einem kla­ren Berg­bach ver­glei­chen lässt, sieht die Situa­ti­on in der Schweiz doch eher wie der aus­ge­trock­ne­te Aral­see5 aus.

In der Schweiz müs­sen Betrei­ber von Inter­net­fo­ren lei­der damit rech­nen, dass sie Besuch von der Staats­an­walt­schaft bekom­men. Kürz­lich muss­te ein Foren­be­trei­ber aus Woh­len AG6 die­se nega­ti­ve Erfah­rung machen. Die Staats­an­walt­schaft ermit­tel­te auf Antrag wegen Ehr­ver­let­zungs­de­lik­ten und woll­te die IP-Adres­sen der mut­mass­li­chen Täter in Erfah­rung brin­gen. Der Foren­be­trei­ber wei­gert sich jedoch seit län­ge­rem, die IP-Adres­se sei­ner For­um­teil­neh­mer zu spei­chern. Dies han­del­te ihm einen mit einer Geld­stra­fe ver­bun­de­nen Straf­be­fehl7 wegen Begüns­ti­gung nach Art. 305 StGB ein. Der Vor­wurf lau­tet also, die Straf­ver­fol­gung der mut­mass­li­chen Täter erschwert oder ver­ei­telt zu haben, indem er es unter­liess, IP-Adres­sen zu spei­chern. Ein straf­recht­lich rele­van­te Begüngs­ti­gung ist nur dann gege­ben, wenn die­se sich auf eine abge­schlos­se­ne Vor­tat bezieht. Soll­te unser Betrei­ber also vor Inbe­trieb­nah­me die­ses Forums einen glo­ba­len Ent­scheid, kei­ne IP-Adres­sen zu spei­chern, getrof­fen haben, sind weit und breit kei­ne Vor­ta­ten zu erken­nen. Künf­ti­ge Straf­ta­ten kön­nen nicht begüns­tigt wer­den, da sie noch nicht ein­ge­tre­ten sind oder nie ein­tre­ten wer­den. Begüns­ti­gung wäre nur gege­ben, wenn der Foren­be­trei­ber IP-Adres­sen nach­träg­lich gelöscht hat. Dies scheint hier im Gegen­satz zu einem Fall, wel­cher von Bun­des­ge­richt ber­ur­teilt wer­den muss­te, nicht zuzu­tref­fen. In die­sem ein­schlä­gi­gen Bun­des­ge­richts­ent­scheid8 wur­de Begüns­ti­gung zu Recht bejaht. Fer­ner ging es um die Fra­ge, auf­grund wel­cher Rechts­grund­la­ge ein Foren­be­trei­ber ver­pflich­tet ist, IP-Adres­sen zu speichern.

Die­ser Bun­des­ge­richt­ent­scheid ist äus­serst kuri­os, da er Foren­be­trei­ber den Fern­mel­de­dienst­leis­tern und Inter­ne­an­bie­tern, auf wel­che das BÜPF9 Anwen­dung fin­det, gleich­stellt, um schliess­lich die Uner­heb­lich­keit der recht­li­chen Grund­la­ge zur IP-Adres­sen-Spei­che­rungs­pflicht fest­zu­stel­len. Arti­kel 1 Absatz 2 des BÜPF legt den Gel­tungs­be­reich die­ses Bun­des­ge­set­zes fest: “Es gilt für alle staat­li­chen, kon­zes­sio­nier­ten oder mel­de­pflich­ti­gen Anbie­te­rin­nen von Post- und Fern­mel­de­dienst­leis­tun­gen sowie für Inter­net-Anbie­te­rin­nen.” Es ist weder auf den ers­ten Blick noch nach genaue­rer Über­le­gung ersicht­lich, wie unser klei­ner Foren­be­trei­ber in die­se Mam­mut­her­de hin­ein­pas­sen soll. Ist er am Ende eine Inter­net-Anbie­te­rin? Das Bund­er­ge­richt scheint den Begriff Inter­net-Anbie­ter, über den Anbie­ter einer tech­ni­schen Infra­struk­tur hin­aus auf alle Anbie­ter von Inhal­ten im Inter­net aus­zu­deh­nen. Das ist einer­seits ver­we­gen und and­rer­seits sehr bedau­er­lich, da es sich um höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung han­delt. Somit träf­fe den Foren­be­trei­ber die­sel­be Pflicht zur sechs­mo­na­ti­gen Spei­che­rung von Ver­bin­dungs­da­ten wie die Inter­net­gi­gan­ten Cab­le­com oder Swiss­com. Ganz glück­lich damit scheint das Bun­des­ge­richt aber selbst nicht zu sein, denn es hält fest: “Auf wel­chen gesetz­li­chen Bestim­mun­gen eine Auf­be­wah­rungs­pflicht der IP-Adres­sen beruht, erscheint uner­heb­lich.” War die Sub­sum­ti­on des Foren­be­trei­bers unter den Begriff des Inter­net­an­bie­ters bereits ver­we­gen, so grenzt die­se Aus­sa­ge an Toll­kühn­keit. Anschei­nend geriet Arti­kel 5 unse­rer Bun­des­ver­fas­sung10, wonach Grund­la­ge und Schran­ke staat­li­chen Han­delns das Recht ist, völ­lig in Vergessenheit.

Ein Bun­des­ge­richts­ur­teil, wel­ches den Foren­be­trei­ber einem Inter­net­an­bie­ter gleich­stellt, kann kei­ne Basis für die Foren­haf­tung in der Schweiz sein. Der Gesetz­ge­ber ist gut bera­ten, die­se Lücke zu fül­len. Dabei soll er den Wert einer leb­haf­ten öffent­li­chen Dis­kus­si­on über Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen stel­len. Lei­der ist davon aus­zu­ge­hen, dass für eine radi­ka­le Lösung nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild der Mut in die­sem Land fehlt. Ziel soll­te jedoch sein, den recht­li­chen Fokus weg von Foren­be­trei­bern hin zu einer Pra­xis der zeit­na­hen Reak­ti­on auf Beschwer­den und Löschungs­be­geh­ren zu len­ken. Gera­de bei den häu­fi­gen vor­kom­men­den Ehr­ver­let­zungs­de­lik­ten wiegt das Löschungs­in­ter­es­se schwe­rer als das Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se. Auch wenn die­se Stoss­rich­tung weni­ger Arbeit für unse­re Gerich­te und Anwäl­te bedeu­tet, ist dies der Königs­weg, eine brei­te Dis­kus­si­ons­kul­tur im Inter­net zu fördern.

[d.z.]

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2 Kommentare

  1. Dan­ke, dass Sie die­sen Aspekt noch erwähnt haben. Ich tei­le Ihre Meinung.

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  2. Vie­len Dank für die Ueberlegungen
    Ich möch­te noch einen Aspekt der IP-Adres­se einbringen:

    Wenn die IP-Adres­se gespei­chert wird hat man wohl die Adres­se, mehr nicht. Anhand der IP-Adres­se lässt sich aber der Pro­vi­der zwei­fels­frei beweisen. 

    Weil die IP ist erst­mal, kein per­so­nen­be­zo­ge­nes Kri­te­ri­um u n d kein Com­pu­ter-bezo­ge­nes Kriterium.

    Mit der IP-Adres­se kann zuerst mal nur der/die Anschluss­in­ha­ber aus­fin­dig gemacht werden.

    Der Pro­vi­der den man anhand der IP-Adres­se zwei­fels­frei bewei­sen kann kann dann sofern Log-Auf­zeich­nun­gen vor­han­den den Anschluss­in­ha­ber herausfinden
    Dann hat man den Anschluss­in­ha­ber, mehr nicht.

    Wie­vie­le Com­pu­ter und wieviele/welche Per­so­nen die/den Com­pu­ter nutz­ten zum Zeit­punkt x ist somit noch nicht bestimmt. 

    z.B. Fami­li­en haben meh­re­re Com­pu­ter. Vie­le Fami­li­en­mit­glie­der benut­zen Com­pu­ter. Auch Freun­de / Bekann­te kön­nen den Fami­li­en­com­pu­ter mit­nut­zen usw.

    Bei einem mobi­len Com­pu­ter (Tablet; Smart­phone usw usw usw) eben­so: Da das Gerät trag­bar ist kön­nen unbe­stimm­te Per­so­nen das Gerät nutzen.

    Es ist also Tat­sa­che, dass eine IP nicht unbe­dingt zum kon­kre­ten Nut­zer führt der tat­säch­lich zum Zeit­punkt x den Com­pu­ter nutz­te und die IP-Adres­se x hinterliess.

    Es ist aber so wie ich ver­schie­dent­lich mit­be­kom­men habe dass Gerich­te bei Zwei­fel ein­fach auf den Anschluss­in­ha­ber abstellen.
    Das kann aber kom­plett falsch sein sie­he oben.

    Das ist natür­lich eine ein­fa­che Lösung der Gerichte.
    Das fin­de ich nicht rich­tig. Die Poli­zei und/oder die Gerich­te müss­ten wenn schon den Beweis füh­ren wel­che Per­son tat­säch­lich den Com­pu­ter zum Zeit­punkt x nutzte.
    Machen die meis­ten nicht. Find ich nicht richtig.

    Hof­fe Sie ver­ste­hen mei­ne Ueberlegungen.

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