Pflicht zur IP-Adres­sen-Spei­che­rung durch die Hintertüre

1Hin­weis: Da die­ser Arti­kel durch diver­se Inputs lau­fend ergänzt wur­de, wur­de die­sem The­ma nun ein eige­ner aus­führ­li­cher Arti­kel2 gewidmet.

Die Staats­an­walt­schaft Zo­­fin­­gen-­Kulm hat gegen einen Be­trei­ber eines In­­ter­­net-­Fo­rums einen Straf­be­fehl er­las­sen, weil die­ser sich wei­gerte die IP-­Adres­­sen sei­ner Fo­rum­teil­neh­mer zu spei­chern. Die Staats­an­walt­schaft ar­gu­men­tiert, dass dies den Straf­tat­be­stand der Begüns­ti­gung erfül­le, weil damit die Straf­ver­fol­gung von Fo­rum­teil­neh­mern ver­un­mög­licht wür­de. Die­se Ein­schät­zung ist mei­ner Mei­nung nach falsch und als schwe­rer Schlag gegen die Mei­nungs­frei­heit in der Schweiz zu wer­ten. Die Staa­tats­an­walt­schaft Zo­­fin­gen-Kulm scheint sich der Trag­weite ihrer Fehl­ein­schät­zung nicht be­wusst zu sein. Ihrer Logik fol­gend, erfül­len alle On­­li­­ne-In­­ter­ak­­tio­­nen, wel­che kei­ner IP zu­ge­ord­net wer­den kön­nen, den Straf­tat­be­stand der Begüns­ti­gung nach Art. 305 StGB. Dies be­deu­tet in letz­ter Kon­se­quenz eine um­fas­sende Pro­vi­der­haf­tung und Pflicht zur IP-­Adres­­sen-Spei­­che­rung. Wenn Begüns­ti­gung sich nicht auf einen kon­kre­ten Fall son­dern auf eine Viel­zahl po­ten­zi­el­ler Fäl­le be­zieht, die womög­lich noch nicht ein­mal er­folgt sind, dann kann die­ser Straf­tat­be­stand will­kür­lich in jedem Kon­text bemüht wer­den. Ich hof­fe, dass un­sere Ge­richte einer sol­chen schwam­mi­gen Aus­le­gung von Begüns­ti­gung eine Ab­sage er­tei­len wer­den. In der Zwi­schen­zeit emp­fehle ich der Staats­an­walt­schaft Zo­­fin­­gen-­Kulm einen Blick nach Deutsch­land, wo die De­batte um Fo­ren­haf­tung zu einer fast ein­heit­li­chen Recht­spra­xis geführt hat: Arti­kel auf Wiki­pe­dia3

Nach­trag vom 22. Sep­tem­ber 2012:

Begüns­ti­gung nach Art. 305 Abs. 1 StGB ist nur hin­sicht­lich einer abge­schlos­se­nen Vor­tat mög­lich. Wenn also jemand vor einer abge­schlos­se­nen Vor­tat, z.B einer ehr­ver­let­zen­den Äus­se­rung in einem Forum, ent­schei­det kei­ne Spei­che­rung von IP-Adres­sen in sei­nem Dis­ku­si­ons­fo­rum vor­zu­neh­men, ist die Vor­aus­set­zung für Begüns­ti­gung gar nicht gege­ben. Im kon­kre­ten Fall des Woh­le­ner Foren­be­trei­bers wur­den allem Anschein nach von Anbe­ginn an kei­ne IP-Adres­sen gespei­chert. Dafür spricht vor allem die Tat­sa­che, dass die Staats­an­walt­schaft nicht fün­dig gewor­den ist. Somit sind Vor­ta­ten aus­zu­schlies­sen, und der Straf­tat­be­stand der Begüns­ti­gung ist gar nicht anwend­bar. Begüns­ti­gung kann nicht als Tot­schlag­ar­gu­ment für Daten­schutz her­bei­ge­zo­gen wer­den. Hof­fent­lich kommt die­se Erkennt­nis auch in der Pro­vinz an.

Nach­trag vom 24. September

Der Bun­des­ge­recht­ent­scheid vom 8. Janu­ar 20104 stützt das Vor­ge­hen der Staats­an­walt­schaft teil­wei­se. Das Bun­des­ge­richt ist so ver­we­gen und stellt den Foren­be­trei­ber einem Fern­mel­de­dienst­leis­ter gleich, so dass das BÜPF (Bun­des­ge­setz betref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs) ange­wandt wer­den kann. Den klei­nen Foren­be­trei­ber tref­fen also die glei­chen Pflich­ten zur Daten­spei­che­rung wie die Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­rie­sen Swiss­com oder Cab­le­com. Arti­kel 1 Absatz 2 BÜPF umschreibt den Gel­tungs­be­reich des Bun­des­ge­set­zes wie folgt: Es gilt für alle staat­li­chen, kon­zes­sio­nier­ten oder mel­de­pflich­ti­gen Anbie­te­rin­nen von Post- und Fern­mel­de­dienst­leis­tun­gen sowie für Inter­net-Anbie­te­rin­nen. Ein Foren­be­trei­ber ist nun ein­mal weder ein Inter­net-Anbie­ter noch ein Anbie­ter von Fern­mel­de­dienst­leis­tun­gen. Mit letz­term mein­te der Gesetz­ge­ber aller Wahr­schein­lich­keit nach die gros­sen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men. Mei­ner Mei­nung nach ist die­ses Gesetz also gar nicht anwend­bar auf Foren­be­trei­ber, und ich hal­te die­sen Bun­des­ge­richts­ent­scheid für eine Kata­stro­phe für die Mei­nungs­frei­heit und den Daten­schutz in der Schweiz. Die­ses ver­blüf­fen­de Bun­des­ge­richts­ur­teil wagt dann noch tat­säch­lich die fol­gen­de Aus­sa­ge:  Auf wel­chen gesetz­li­chen Bestim­mun­gen eine Auf­be­wah­rungs­pflicht der IP-Adres­sen beruht, erscheint uner­heb­lich. Was soll man da noch sagen? Wenn die Foren­haf­tung in der Schweiz auf die­sem kata­stro­pha­len Bun­des­ge­richts­ent­scheid basiert, sag ich nur “Gute Nacht, Schweiz!”.

Anmer­kung: Bei besag­tem Bun­des­ge­richts­ur­teil wur­den IP-Adres­sen gelöscht. Eine Begüns­ti­gung lag im Gegen­satz zum Fall des Woh­le­ner Foren­be­trei­bers vor.

Pres­se-Links:

Bericht in der Aar­gau­er Zei­tung5

Bericht auf DRS16

Leser­bei­trag in der Aar­gau­er Zei­tung7

[d.z.]

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