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Das Coro­na­kel

Das drohende Corona-Debakel

[extoc]

Die epidemiologischen Zeichen stehen nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa auf Sturm. Doch die Reaktion der Schweiz auf eine sich abzeichnende zweite Welle ist verhalten und uneinheitlich. Der Bundesrat hält sich vornehm zurück und beobachtet, während die Kantone einen Flickenteppich von Massnahmen hervorbringen. In fast allen Kantonen gelten andere Vorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie. In einem Punkt scheinen sich jedoch fast alle insofern einig zu sein, als sie einen wirtschaftlichen, sozialen und auch demokratischen Schaden durch allzu einschneidende Massnahmen vermeiden wollen. Die Zügel werden dementsprechend locker gelassen. So werden beispielweise geltende Abstandsregeln weder eingehalten, noch wird deren Missachtung sanktioniert.

Schweiz im Normalbetrieb

Die schweizerische Bevölkerung ihrerseits hat selbstständig auf beruflichen und sozialen Normalbetrieb umgestellt. Die wenigsten nehmen die Bedrohung durch das neue Corona-Virus noch ernst oder glauben weiter an den mehrfach widerlegten Grippe-Vergleich. Weiterhin verbreiten einige Kreise, die durch Corona verursachte Sterblichkeit unterscheide sich nicht von jener einer normalen Grippewelle. Dabei wird völlig ausser Acht gelassen, dass der Bund mittels Lockdown kräftig auf die Notbremse getreten ist und somit Schlimmeres verhindert hat. Momentan beklagt die Schweiz deshalb «nur» 1789 an Covid-19 Verstorbene. Im Vergleich dazu zählt man im Vereinigten Königreich zurzeit 42‘000 Tote. Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich müssten wir in der Schweiz bei vergleichbarer Mortalitätsrate ca. 5250 Corona-Tote aufweisen. Es scheint, dass das schweizerische Gesundheitssystem und die Disziplin der Bevölkerung während des Lockdowns sich sehr günstig auf die Sterblichkeit durch Corona ausgewirkt hat.

Sonderfall-Mentalität

In solchen Situationen verfallen Schweizerinnen und Schweizer allzu leichtsinnig in das eingebrannte Sonderfall-Denken. Man hält es schlicht und einfach für unmöglich, dass hier in der Schweiz ähnlich negative Entwicklungen wie in Spanien, Frankreich, Belgien oder den Niederlanden eintreten. Schon meldet das Bundesamt für Gesundheit am Mittwoch, dem 7. Oktober 2020, 1071 Corona-Infektionen. Es zeichnet sich hier ein exponentieller Trend ab, eine veritable Explosion von Covid-19-Erkrankungen. Kritiker halten dagegen, dass die Hospitalisierungen und Todesfälle auf einem tiefen Niveau verharren. Die Erfahrung aber zeigt, dass die Todesfälle den neu gemeldeten Infektionen bis zu zwei Wochen hinterherhinken. Die Todesfälle werden sich zwangsläufig häufen, auch wenn sich die Ansteckungen momentan noch auf weniger gefährdete Altersgruppen konzentrieren. Das Virus aber hat schon im Frühjahr gezeigt, dass es problemlos die Alterspyramide hochkraxelt und zu den Alten und Vulnerablen gelangt.

Die Corona-Milchmädchen-Rechnung

Die Rechnung ist deshalb denkbar einfach: Je mehr junge oder mittelalterliche Menschen an Covid-19 erkranken, desto mehr Alte und Vulnerable werden dem Virus zum Opfer fallen. Ferner ist zu erwarten, dass auch jüngere, nicht-vorbelastete Personen von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen sein werden. Es ist alles schon geschehen, und es wird sich genau gleich oder schlimmer wiederholen, allem Wunschdenken und Skeptizismus zum Trotz. Das Virus ist uns Menschen nicht aus heiterem Himmel freundlich gesinnt. Epidemiologen und Virologen stellen keine Abschwächung von SARS-CoV-2 fest. Wir laufen also gerade sehenden Auges in das offene Messer. Nur ist die Bereitschaft, noch einmal einschneidende Einschränkungen in Kauf zu nehmen in der Gesellschaft fast nicht mehr vorhanden. Das bedeutet, dass wir Mitmenschen bewusst opfern werden.

Das Mantra der Rechtfertigung

Fadenscheinige Argumente werden bemüht und gebetsmühlenartig wiederholt: Diese Menschen wären sowieso gestorben; Tod und Krankheit müssen wir als einen Bestandteil des Lebens verstehen; wenige müssen sich für das Wohl der anderen opfern; die Wirtschaft ist höher zu gewichten als das Leben weniger; Freiheit ist höher zu gewichten als das Leben weniger. Fadenscheinig sind diese Argumente, weil sie nur von jenen, die nicht direkt von Corona betroffen sind, vorgebracht werden. Diese Argumente haben wir bereits gehört, und wir werden sie wieder hören. Sie sind zu einem fatalen gesellschaftlichen Konsens geworden, der einen zweiten Lockdown grundsätzlich verunmöglicht. Unserer Landesregierung ist nicht entgangen, dass sich nicht nur Splittergruppen, sondern eine Mehrheit der Bevölkerung gegen einen zweiten Ausnahmezustand stellt. Deshalb überlässt sie es den Kantonen, der Pandemie Herr zu werden. Die Kantone aber handeln schwach und uneinheitlich, während sich das Virus einheitlicher in ländliche und städtische Regionen ausbreitet.

Laisser-Faire

Schwache Kantone, Partikularinteressen aus Wirtschaft und Gesellschaft, Corona-Müdigkeit, verschwörungstheoretischer Irrglauben und eine weit verbreitete fatalistische Einstellung gegenüber der Pandemie rollen dem Virus den roten Teppich aus. Partys werden dort gefeiert, wo es noch möglich ist, also womöglich einfach jenseits der Kantonsgrenze. Gottesdienste ohne Schutzmaske, aber mit Gesängen werden dort abgehalten, wo niemand hinschaut. Private Feste werden gefeiert, weil man sich doch das Leben weder vom Staat noch von einem Virus verbieten lässt. Hochzeiten werden gefeiert, als gäbe es keine Pandemie. Schulen und Schulklassen werden nicht quarantänisiert, weil in einigen Kantonen Kinder und Jugendliche gar nicht getestet werden. Zu allem Überfluss sind nun Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen in der Schweiz wieder erlaubt. Genau an solchen Anlässen findet gerade eine enorme Verbreitung der Krankheit statt.

Winter is coming

Erschwerend kommt auch die kältere Jahreszeit hinzu. Im Herbst und Winter arbeiten wir wieder in geheizten, stickigen, schlecht belüfteten Räumen. Erwiesenermassen hat das Virus unter solchen Bedingungen leichtes Spiel. Ansteckungen am Arbeitsplatz, in Pendlerzügen und in Bars werden sich häufen. Ferner verliert unser Immunsystem in den kalten und dunklen Jahreszeiten an Kraft. Unter diesen ungünstigen Voraussetzungen wird das Corona-Virus auch in der Schweiz durchmarschieren und unzählige Todesopfer fordern. Wie teuer dieser Durchmarsch die Wirtschaft zu stehen kommen wird, wird sich weisen. Wer jedoch glaubt, der Supergau würde die Schweiz verschonen, täuscht sich gewaltig. Alles spricht dafür, dass wir auch hier eine gewaltige zweite Welle erleben werden. Der Corona-Sonderfall Schweiz ist ein Hirngespinst weltfremder und wohlstandsverwahrloster Schweizer und Schweizerinnen.

Tu quoque, Helvetia, memento moriendum esse.